Donnerstag, 19. Dezember 2013

Die Kurzstudie „Gefallen an Gefälligkeiten – Journalismus und Korruption“ des Netzwerk Recherche. Das Wichtigste fehlt.

Der Hinweis auf die Kurzstudie „Gefallen an Gefälligkeiten – Journalismus und Korruption“, den das Netzwerk Recherche auf seiner Homepage platziert hat, klingt hoch interessant: „Luxusreisen für Journalisten bei Automobilkonzernen und bei Thyssen-Krupp, Schleichwerbung und fragwürdige Kooperationen und Kopplungsgeschäfte – in Kooperation mit Transparency International Deutschland, dem Institut für Journalistik der TU Dortmund und der Otto Brenner Stiftung stellt Netzwerk Recherche die Kurzstudie ‚Gefallen an Gefälligkeiten: Journalismus und Korruption‘ vor. Neben Fallbeispielen enthält die Studie Analysen von Compliance-Regeln und von straf- und steuerrechtlichen Konsequenzen.“ Eine meiner Meinung nach wichtige Frage lässt die Kurzstudie leider unbeantwortet: Ist Markus Grill, Verfasser des ersten Beitrags und Beisitzer im Vorstand des Netzwerk Recherche, für PR, Abwehr-PR und „journalistische Gefälligkeiten“ zum Vorteil von AOK und IQWiG verantwortlich? - Mehr ...
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Über Splitter, Balken und eine Kurzstudie des Netzwerk Recherche
„Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ An dieses Zitat aus der Bergpredigt musste ich denken, als ich Markus Grills Kapitel „Bestechlich sind immer nur die anderen - Wie PR-Profis für gefällige Berichterstattung sorgen“ in der Kurzstudie „Gefallen an Gefälligkeiten – Journalismus und Korruption“ des Netzwerk Recherche zu lesen begann. Mein zweiter Gedanke: Okay, das Netzwerk Recherche bleibt sich treu.

Intransparenz in einem nr-Sammelband über Transparenz
Im Dezember 2008 veröffentlichte das Netzwerk Recherche den Sammelband „In der Lobby brennt noch Licht“ über „Lobbyismus als Schatten-Management in Politik und Medien“. So wichtig das Thema und so lesenswert dieser Band auch ist. Gleich der erste Artikel verweist - in verschleiernder (!) Form - auf einen „Monitor“-Beitrag, der in allen ARD-Medien dauerhaft gesperrt ist. Intransparentes in einem Sammelband über Transparenz?

Unglaubwürdiges in einer nr-Studie über Glaubwürdigkeit
In diesem Jahr veröffentlichte das Netzwerk Recherche eine als „Kurzstudie“ präsentierte Publikation, in der es in letzter Konsequenz um die Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit von Journalisten geht. Warum ich an der Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit eines der Studien-Autoren große und gut begründete sowie ausführlich dokumentierte Zweifel habe, das will ich Ihnen nachfolgend erläutern.

„Kaum Unrechtsbewusstsein“ I.
Markus Grill schreibt auf Seite 4 der „Kurzstudie“:

„Die deutsche Fassung des Spielfilms über den Watergate-Skandal ... bringt in einem Wort zum Ausdruck, wie echte Journalisten sein sollen: hartnäckig, überparteilich und frei von allen Vorurteilen, die ihre Unabhängigkeit beeinflussen könnten.“

Kritik an Journalisten ist in den Medien de facto ein Tabu
Weil es zwischen hehren Idealen und Realität mitunter eine große Diskrepanz gibt, benötigt es Mahner wie Markus Grill, die Missstände anprangern und uns wieder auf den Pfad der Tugend führen. Der SPIEGEL-Redakteur verweist auf vier Journalisten von Tagesspiegel, Süddeutscher Zeitung, Neue Ruhr Zeitung und Rheinischer Post, die über den Thyssen-Konzern berichtet haben, ohne - so die von Markus Grill insinuierte Logik - in ihren Artikeln gut sichtbar zu erwähnen, dass sie First Class nach Südafrika geflogen sind, mit dem Hubschrauber zu ein paar Terminen gebracht wurden, in der luxuriösen Singita Lebombo Lodge übernachtet haben und die ganze Reise von Thyssen-Krupp finanziert wurde. Markus Grill weist darauf hin, dass diese „anrüchige Journalistenreise“ von der Welt öffentlich gemacht wurde, daraufhin jedoch „keine Welle der Empörung, sondern Schweigen“ folgte und die Journalisten laut Welt-Autor Jörg Eigendorf „kaum Unrechtsbewusstsein zeigten“.

In einem Punkt gebe ich Markus Grill recht: Leichte und schwere ethische Grenzverletzungen, die Politikern die Karriere und Managern und Unternehmern das Ansehen kosten können, werden stillschweigend akzeptiert oder ignoriert, wenn sie von Journalisten begangen werden. „So hartnäckig Medienleute von anderen Rechenschaft und Transparenz einfordern, so wenig scheren sie sich selbst darum“, schreibt der deutsche Medienwissenschaftler Prof. Stephan Ruß-Mohl in seinem EJO-Beitrag „Rechenschaftspflicht: Medien am Pranger“.

Fragen an das Netzwerk Recherche sind nicht erwünscht
Nach meiner Beobachtung gilt diese Regel nicht nur für die Medienbranche insgesamt sondern auch für den Umgang des Vereins Netzwerk Recherche e.V. mit den schweren Markus Grill betreffenden Vorwürfen. Auf vier Fragen an Günter Bartsch, Oliver Schröm, David Schraven, Alexander Richter, Renate Daum, Markus Frenzel, Bernd Kastner, Gert Monheim, Franziska Augstein und Albrecht Ude erhielt ich (erwartungsgemäß) keine Reaktion. Über Umwege erreichte mich später die Nachricht, dass Oliver Schröm die „Causa Markus Grill“ zur Privatangelegenheit des SPIEGEL-Redakterus erklärt haben soll. So einfach ist das ...



„Kaum Unrechtsbewusstsein“ II.
Eine gewisse Tragikomik sehe ich allerdings darin, dass Markus Grill zur Veranschaulichung der Problematik (ethische Grenzverletzungen von Journalisten und fehlendes Unrechtsbewusstsein) nicht in die Ferne hätte schweifen müssen. Es hätte vollkommen ausgereicht, wenn er vor der eigenen Haustüre gekehrt hätte.

Weil weder Markus Grill noch die Journalisten-Vereinigung Netzwerk Recherche e.V. noch der SPIEGEL-Verlag auch nur leichte Ansätze zeigen, sich mit den schweren ethischen Grenzverletzungen von Markus Grill aktiv und ergebnisoffen auseinanderzusetzen, hier für Transparenz zu sorgen, helfe ich online ein wenig nach. Und zwar genau der Logik folgend, die Prof. Stephan Ruß-Mohl treffend beschreibt: „Dank Blogs und sozialen Netzwerken, infolge von Interaktivität und Verlinkungs-Optionen, verlieren die Massenmedien allerdings die Verfahrenshoheit im Blick auf ihre Rechenschaftspflicht.“

Markus Grill und die AOK
In meinem Watchblog Faktencheck „Markus Grill“ habe ich soeben ein kurioses Ereignis dokumentiert, das ethische und journalistische Fragen aufwirft: „Privilegierte Partnerschaft“? AOK, SPIEGEL und Auffälligkeiten bei der Vorstellung des Arzneiverordnungs-Reports am 27.09.2012

Der Fachverlag Springer Medizin lud im vergangenen Jahr zu einer Pressekonferenz ein, um den „Arzneiverordnungs-Report 2012“ vorzustellen. Die Pressekonferenz begann am 27.09.2012 um 11:00 Uhr. Exakt zur gleichen Zeit - d.h. am 27.09.2012 um 11:00 Uhr - veröffentlichte Markus Grill bei SPIEGEL ONLINE einen Beitrag, der die Ergebnisse der Pressekonferenz zusammenfasste, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht stattgefunden hatte.
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Pressekonferenz Arzneimittelreport 2012

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Vergleicht man die Berichterstattung von Markus Grill bei SPIEGEL ONLINE beispielsweise mit der von FOCUS Online, so fällt folgendes auf:

1. Normal: FOCUS Online informiert seine Leser erst um 13:02 Uhr - also nach Abschluss der Pressekonferenz.

2. Ungewöhnlich: Die Tatsache, dass SPIEGEL ONLINE die Ergebnisse der Pressekonferenz schon um 11:00 Uhr veröffentlichte, noch bevor sie überhaupt stattgefunden hat, ist ein starkes Indiz dafür, dass Markus Grill schon im Vorfeld der geplanten Veranstaltung über die Inhalte „privilegiert“ informiert worden ist.

3. Vorteilsgeber AOK? Geht man der Frage nach, von wem Markus Grill möglicherweise bevorzugt informiert worden sein könnte, so fällt auf, dass der SPIEGEL-Redakteur ein sehr gutes Verhältnis zur AOK hat, von der AOK schon zwei Journalisten-Preise verliehen bekommen hat, die AOK für ihn eine wichtige karriere-fördernde Quelle ist (z.B. im Rahmen seiner Recherchen zum Artikel „Die Krebs-Mafia“, der es in die Endauswahl für den Henri Nannen Preis 2013 schaffte), zwei von vier Gesprächspartnern der Pressekonferenz am 27.09.2012 von der AOK stammen und Uwe Deh, Vorstand des AOK-Bundesverbands, Markus Grill laut Transkript der Pressekonferenz sogar namentlich erwähnt hat.

4. Geben und Nehmen? Geht man der Frage nach, ob Markus Grill für eine - aufgrund von Indizien zunächst nur hypothetisch angenommene - „privilegierte“ Information eine Gegenleistung erbracht haben könnte oder nicht, so fällt auf:

Die Kollegen von FOCUS Online, denen die Ergebnisse der geplanten Pressekonferenz allem Anschein nach nicht vorab zugespielt wurden, veröffentlichten einen Tag vor der Pressekonferenz Inhalte einer Pressemitteilung des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie e.V. Diese informiert über eine vom BPI in Auftrag gegebene wissenschaftliche Untersuchung von Prof. Dieter Cassel, Universität Duisburg, und Prof. Volker Ulrich, Universität Bayreuth, die Behauptungen des Arzneiverordnungs-Reports kritisch hinterfragt. Markus Grill erwähnt diese kritische Stimme in seinem SPON-Artikel vom 27.09.2012 mit keinem Wort. Er schreibt zwar, „die Pharmaindustrie“ argumentiere „gern, dass man Arzneimittelpreise in Europa nicht vergleichen könne“, um dann mit Verweis auf Ulrich Schwabe zu erklären, „dass man die Unterschiede dennoch einrechnen könne“. Das alles sind jedoch nur Behauptungen. Welche Behauptung einer fundierten Prüfung standhält oder eher PR-Charakter hat, das bleibt offen.

Was auf den ersten Blick wie das harmlose Ergebnis einer Sperrfrist aussieht, wirft bei genauem Hinsehen ethische und journalistische Fragen auf: Wurde Markus Grill (z. B. von der AOK) gegenüber anderen Medien bevorzugt informiert? Wenn ja: Revanchierte er sich dafür mit einer unkritischen und gefälligen Berichterstattung, die ganz im Sinne der AOK ist? Gibt es im Verhältnis von Markus Grill und AOK ein zwar nicht-pekuniäres jedoch für beide Seiten trotzdem geldwertes Geben und Nehmen (z. B. karriere-fördernde Insider-Informationen und Journalisten-Preise hier, eine für die AOK „gute Presse“ dort)?

Weitere Auffälligkeiten

Der ausführliche AOK-freundliche Bericht über eine Pressekonferenz, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bei SPIEGEL ONLINE noch gar nicht stattgefunden hat, ist nicht  die einzige Kuriosität, die mir bei meinen Markus Grill betreffenden Recherchen aufgefallen ist. Über die folgenden Links gelangen Sie zur Schilderung von weiteren Vorgängen, die meiner Meinung nach viel mehr als nur „Anrüchiges“ beschreiben und zu denen mir wichtige Fragen, die ich Markus Grill schriftlich gestellt habe, nicht beantwortet wurden:

Adel Massaad: Indizien für Abwehr-PR zu Gunsten des früheren IQWiG-Chefs Peter Sawicki

Schwarzweißmalerei und der Vorwurf des Günstlingsjournalismus, dokumentiert am Beispiel Peter Sawicki (ehemals IQWiG-Chef)

Jagd im gleichen Revier: über SPIEGEL, Frontal 21 und die Fließbandproduktion von Skandalen im Gesundheitswesen

Blogbeitrag mit Folgen? Über das plötzliche Verschwinden einer IQWiG-Information zur Sicherheit von Insulin Glargin (Lantus)



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